Sadias steiniger Weg zum Glück
Die Geschichte von Sadia beginnt im Jahr 2009 in der Stadt Djougou im Nordwesten Benins. Die damals 17-jährige Sadia ist die Älteste von 8 Geschwistern und vor dem Schulbeginn muss sie sich um die jüngeren Geschwister kümmern. Mit ihrer Großmutter, ihrem Vater und seinen beiden Ehefrauen, mit Onkel und Tanten, Vettern und Kusinen und ihren Geschwistern lebt sie in dem Haus, das der Großvater gebaut hatte. Sie teilt sich einen Schlafraum
mit 7 kleineren Brüdern und Schwestern. Sadias Eltern wurden geschieden, als sie noch sehr klein war. Während die beiden Stiefmütter ihren eigenen Kindern den Schulbesuch erlaubten, wurde dieser Sadia
verweigert und sie musste im Haus alle Arbeiten verrichten und zusätzlich als Stoffverkäuferin auf dem Markt zum Familieneinkommen beitragen.
Erst auf Drängen eines ihrer Onkels wird es ihr ermöglicht, im Alter von 11 Jahren eine Grundschule zu besuchen und lesen und schreiben zu lernen. Sadias Stiefmutter befürwortete das nicht, sie verweigerte ihr
erneut den Schulunterricht und zwang sie, wieder auf dem Markt als Stoffhändlerin zu arbeiten.
Durch ihre Tätigkeit auf dem Markt konnte Sadia nur mit häufigen Unterbrechungen am Unterricht teilnehmen. Eine solche Störung des Schulalltags konnten die Lehrer nicht akzeptieren. Ihr Vater beauftragte einen ihrer
Cousins, mit der Schulleitung zu verhandeln. Sie wurde wieder aufgenommen und konnte bis zu ihrem 16. Lebensjahr 4 Grundschulklassen absolvieren.
Mit 16 Jahren befahlen die Eltern Sadia, die Schule zu verlassen und zu ihnen nach Cotonou zu ziehen. (Cotonou ist die wirtschaftliche Hauptstadt Benins und liegt ca. 500 km südlich von Djougou.) Dorthin waren
die Eltern „geflohen“, um sich ihren Kreditschulden zu entziehen.
Um die Schulden ihrer Eltern abzuzahlen, musste Sadia als Dienstmädchen in einer wohlhabenderen Familie arbeiten. Für einen Lohn von 8.000 Francs (12 €) im Monat musste sie von früh bis spät waschen, putzen, kochen, einkaufen, Kinder hüten usw. An einen weiteren Schulbesuch war nicht mehr zu denken. Ihre verschuldeten Eltern verlangten den gesamten Monatslohn von ihr.
Sie war ungefähr 3 Monate in dieser Stellung, als sie eines Tages zu einem weiter entfernten Markt geschickt wurde, um Einkäufe für die reiche Familie zu tätigen. Für den Rückweg wurde ihr die Fahrt mit einem
Motorrad-Taxi gestattet. Sie kam nicht mehr zurück. Ihr Motorrad-Taxi wurde auf dem Heimweg in einen Verkehrsunfall verwickelt. Sadia erlitt schwere Verletzungen an ihrem linken Bein und ihr linker Arm ist seit dem Unfall
teils amputiert. Drei Tage lag sie bewusstlos im Krankenhaus. Niemand kannte sie, ihre Eltern wussten nicht, wo sie war.
An einem der folgenden Tage erkundigte sich der Motorrad-Taxifahrer nach ihr und benachrichtigte ihre Eltern. Sieben Monate verbrachte Sadia im Krankenhaus. Sie musste mehrmals operiert werden. Ihre Behinderung kaschiert sie unter langen Röcken, Tüchern und Schals. Eine Armprothese lehnt sie ab, da sie sich vor weiteren Operationen fürchtet.
Ihr Leidensweg in Cotonou hatte ein Ende gefunden und sie durfte zurück nach Djougou. Glücklicherweise nahm sich ihr Onkel ihrer an und meldete sie erneut in der Schule an. Sie war fast 18 Jahre alt und neben
mangelndem Schulgeld war die Sorge groß, dass sie wegen der vorgeschriebenen Altersbegrenzung niemals einen Schulabschluss schaffen würde. Dann erfuhr sie von dem von help alliance geförderten Projekt
Abèni, das Mädchen in schwierigen familiären Verhältnissen hilft. So kam sie im neuen Schuljahr in die Gemeinschaft der anderen Mädchen. Hier erfuhr sie Respekt und Zuwendung und alle Hilfe, die sie brauchte, um
doch noch einen Schulabschluss zu erreichen.
Seitdem sind mehr als 10 Jahre vergangen und Sadia hat ihre Schulzeit im Collège unter den 5 Besten ihrer Klasse absolviert. Ihr Abitur im Jahr 2015 schaffte sie im ersten Anlauf und im selben Jahr begann sie schon
ihr Studium an der Universität in Parakou. Im letzten Jahr hat sie ihr Studium der Geografie, Landplanung und Raumordnung beendet und schreibt zur Zeit ihre Diplomarbeit.
Während der Semesterferien suchte sie einen Job, um ein wenig Taschengeld zu verdienen. Es gab ein Angebot des regionalen Radiosenders Solidarité in Djougou. Von 17 Bewerbern kamen 5 in die engere Auswahl
und sie erhielt als Einzige den begehrten Job als Praktikantin, Nachrichtensprecherin, Präsentatorin oder Moderatorin.
Wann immer sie Zeit hat, arbeitet sie dort und liest die Nachrichten auf Französisch und in der Regionalsprache Dendi. Sadia macht Reportagen und präsentiert sie; sie führt Interviews, moderiert Telefonspiele
und berichtet über lokale Begebenheiten. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sie sich entwickelt hat und wie ihr politisches Verständnis gewachsen ist.Es ist schön, ihre Stimme im Radio zu
hören, aber viel wichtiger ist, dass sie eine glückliche, junge Frau ist. Ihr angenehmes, offenes Wesen macht sie beliebt. Sie erfährt Ermutigung von allen Seiten, sie wird respektiert und ihr Selbstvertrauen ist groß.
Sadia hat ihren Weg zu einer selbstständigen, unabhängigen Frau gefunden.
Die Geschichten von Sadia haben wir erstmals in unserem Jahresbericht 2021 veröffentlicht.