Heldin des Dorfes
Khadys Weg schien vorgezeichnet. Da sie noch nie eine Schule besucht hatte und auch nicht Lesen und Schreiben konnte, blieb ihr nur die Arbeit als Haushälterin, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. Selbst nach einer Heirat würde sich daran nichts ändern, außer, dass sie sich dann um ihr eigenes Heim und ihre eigenen Kinder kümmern müsste.
Khadys Heimat ist ein kleines Dorf auf dem Land. Um Geld verdienen zu können, wohnte sie aber bei ihrer Tante in der senegalesischen Stadt Saint-Louis. Glücklicherweise arbeitete sie
ganz in der Nähe des Ausbildungszentrums Keur Mame Fatim Konté im Stadtteil Leona. Nur dadurch erfuhr sie, dass sich dort junge Frauen zur Friseurin, Schneiderin oder Köchin ausbilden lassen und Nachhilfe für einen Schulabschluss erhalten können. Das Zentrum besteht seit 2006 und beinhaltet auch ein Gemeindezentrum, eine Bibliothek sowie einen Kindergarten für Straßenkinder,
der jedes Jahr von rund 100 Mädchen und Jungen besucht wird. 400 Grundschulkinder des durch einen niedrigen Lebensstandard und hohe Arbeitslosigkeit geprägten Viertels Leona profitieren zudem von kostenfreien Nachhilfeangeboten. Ziel ist es, jungen Menschen eine Perspektive im eigenen Land zu ermöglichen.
2009 bewarb sich Khady für eine Friseurausbildung. Da alle Plätze bereits vergeben waren, entschied sie sich für eine Schneiderlehre. Während und nach der Ausbildung arbeitete sie weiter als Haushälterin, um sich erst die Ausbildung und später die erste eigene Nähmaschine zu finanzieren. Um sich etwas zur Seite zu legen, nähte und flickte sie Kleidung per Hand. Nach zwei Jahren war sie am Ziel. Die Ausbildung hatte sie erfolgreich abgeschlossen.
Sie kehrte zurück zu ihrer Mutter in ihr Heimatdorf und nähte fortan Kleidung im elterlichen Schlafzimmer. Zwar gab es in dem 4000-Einwohner-Dorf bereits 14 Schneidereien, jedoch hatte bis dato niemand eine entsprechende Ausbildung abgeschlossen. Basiswissen wie zum Beispiel korrektes Maßnehmen besaß nur Khady. Entsprechend großist die Nachfrage.
„Meine Kleidung sitzt einfach am besten und hat die beste Qualität“, berichtet Khady stolz. Von den Absolventen arbeiten ungefähr 80 Prozent in ihrem erlernten Beruf.
Die meisten tun dies im informellen Sektor, da es in Saint-Louis keinen richtigen Arbeitsmarkt gibt. Nur zehn Prozent eröffneten ein Kleingewerbe. Dazu gehört Khady.
Inzwischen beschäftigt sie sechs Angestellte; vier erledigen Näharbeiten und zwei sind auf Stickereien spezialisiert. Zusätzlich betreibt sie einen kleinen Laden
für Nähbedarf. Regelmäßig fährt Khady nach Saint-Louis, um Material sowohl für ihre Schneiderei als auch den Laden einzukaufen. Das Geschäft brummt. Für die anderen Mädchen in ihrem Dorf ist Khady eine Heldin und ein großes Vorbild, dem es nachzueifern gilt.
Mittlerweile haben zehn weitere Mädchen eine Ausbildung im Zentrum begonnen oder abgeschlossen. „Und wenn ich mal heiraten sollte, dann werde ich auf jeden
Fall weiterarbeiten. Garantiert!“
Der Text wurde erstmalig im Jahresbericht 2017 veröffentlicht.
Die Förderung des Projekts ist mittlerweile abgeschlossen.