Erfolgreicher Projektabschluss in Syrien
In den letzten 2 Jahren konnten in Syrien über 100 Waisenkinder, die ihre Familien im Erdbeben in Idlib im Februar 2023 verloren haben, gerettet werden. Diese Kinder lebten oft wochenlang völlig auf sich gestellt in den Trümmern, ohne Schutz oder Hilfe, suchten nach Essen im Müll, hatten kein Dach über Kopf. Viele der Kinder waren schwer traumatisiert, verletzt oder krank. Das Projekt nahmen die Kinder auf, ließen sie ärztlich untersuchen und behandeln. Einige der Kinder hatten Infektionen, die mit Antibiotika behandelt werden mussten, andere waren so krank, dass sie stationär behandelt werden mussten. Fast alle waren stark mangelernährt und wiesen Verhaltensauffälligkeiten auf, die auf Traumata hinwiesen. Auch psychologisch wurden die Kinder behandelt (einige bis heute) um über das Erlebte in der Nacht und den Verlust von Heimat, Familie Identität sprechen zu können. Die Heilung dieser Kinder ist noch nicht abgeschlossen, sie und die Familien, die sie aufgenommen haben, brauchen immer noch Unterstützung, aber sie sind auf einem guten Weg. Drei dieser Kinder sind die Brüder Esat, Phekda und Aadil, deren Geschichte uns von unserer Partnerorganisation zu Verfügung gestellt wurde und wir gerne teilen möchten. In diesem besonders herausfordernden Umfeld hat unsere Partnerorganisation beeindruckende Hilfe geleistet und Strukturen aufgebaut und Finanzierungsquellen erschlossen, so dass die help alliance Finanzierung dieses Projektes mit Ende des Jahres 2024 auch abgeschlossen werden konnte.
Die Brüder Esat (10), Phekda und Aadil (Zwillinge, beide 7) haben ihre ganze Familie verloren. Ihr Vater starb schon vor einem Jahr durch Raketenbeschuss, sie lebten mit ihrer Mutter Sama und ihrem eineinhalbjährigen Bruder Abdi in einem Hinterzimmer einer Bäckerei, die schon lange verlassen war, in der es aber einen Holzofen gab (der aber nur in Betrieb war, wenn sie sich Holz leisten konnten, was meistens nicht der Fall war). Dieser kalte Ofen war es, der ihre Mutter unter sich einklemmte, als das Beben kam. Sie hielt Abdi, das Baby fest, und durch sein Schreien konnte man die beiden unter den Trümmern finden. Abdi konnte befreit werden, doch er hatte eine Verletzung am Rücken.
Auch Sama war am Leben, ihr Oberkörper konnte freigelegt werden, doch der große Bäckerei-Ofen auf ihren Beinen konnte nicht bewegt werden. Einen ganzen Tag dauerte es, bis seine Mutter starb, erzählt mir Esat. Es wurde bereits wieder dunkel und die ganze Zeit über war ihr so kalt. Sie versuchten, mit ihr zu sprechen, manchmal war sie wach, weinte, doch manchmal schien sie auch weit weg, sprach wirres Zeug, das die Jungs nicht verstehen konnten. „Dieser dumme Ofen, der uns nie gewärmt hat, ist an allem Schuld.“
Abdi wird in einer Medizinstation genäht und dann werden die Jungs nach Hause geschickt. Im Chaos fragt niemand, ob es ein Zuhause gibt, ob es Erwachsene gibt, die für sie „zuständig“ sind. Ich stelle mir vor, wie die drei Jungs mit ihrem Bruder auf dem Arm das Lazarett verlassen und keine Ahnung haben, was jetzt passieren wird, was sie jetzt tun sollen.
Die erste Nacht haben sie bei ihrer toten Mutter verbracht, doch am nächsten Morgen sagte man ihnen, die Bergungsarbeiten würden immer noch laufen und sie könnten hier nicht bleiben. Es mag für uns unvorstellbar sein, dass es kein Amt gab, das zuständig war, kein Auffanglager, in dem sie erst einmal versorgt werden konnten, aber Idlib war nach dem Erdbeben wie eine Region nach einer Atomkatastrophe, das Chaos war unbeschreiblich. Selbst vor dem Erdbeben war Idlib ein Kriegsgebiet.
Esat, Phekda, Aadil und Abdi wissen nicht, wohin. Jede Nacht schlafen sie an einem anderen Ort, tagsüber stromern sie durch die Ruinenstadt und suchen nach Essbarem. Esat erinnert sich vor allem daran, dass der kleine Abdi ständig weinte. „Wir trugen ihn abwechselnd, aber hörte einfach nicht auf. Und es war so kalt. Und dauernd waren Nachbeben, die uns große Angst gemacht haben.“ Die drei größeren wissen nicht, ob es Tage oder Wochen waren, die so vergingen, aber eines morgens wachten sie hinter der Werkstatt auf, hinter der sie sich schlafen gelegt hatten und es war still. Abdi war still. Sie hätten minutenlang nicht gesprochen, erzählt Phekda, als jeder für sich allein versuchte, zu begreifen, dass ihr kleiner Bruder tot neben ihnen lag, 19 Monate alt.
„Habt ihr Hilfe geholt“ ist eine Frage, die ich nicht stelle, denn wo hätte es Hilfe geben sollen? Sie haben Abdi begraben, drei Grundschulkinder, ganz allein, begruben ihren kleinen Bruder. Auf einem offenen Feld gruben sie immer zu zweit, während einer Abdi auf dem Arm hielt. Einen Nachmittag und eine ganze Nacht haben sie dafür gebraucht, zum Graben hatten sie nur spitze Steine.
„Das Leben geht weiter“ ist ein Satz, den wir hier in Deutschland gerne sagen, wenn anderen etwas schlimmes passiert, den wir tröstlich meinen (obwohl er das ist) und das ist genau das, was auch Esat, Phekda und Aadil erfuhren: das Leben ging einfach weiter. Ohne Mutter. Ohne Bruder. Ohne Zuhause. Es gab immer wieder Menschen, die fragten, ob sie denn kein Zuhause mehr hätten, wenn sie bettelten oder Essen stahlen, aber wenn die Jungs das verneinten, wenn sie erzählten, dass sie völlig allein waren, gab es nichts, was ihr Gegenüber hätte tun können. Eine Naturkatastrophe inmitten eines Krieges. Chaos inmitten eines Massakers. Es gab nirgendwo Hilfe.
Den ersten Kontakt hatten wir im Mai, die Jungs stellten sich bei einer Lebensmittelverteilung an. Dass sie weit mehr als Brot und Saft und Käse brauchten, war klar, aber ich fühlte mich eben so hilflos wie sicher viele andere Helfer vor mir. – Umso glücklicher bin ich, dass Esat, Phekda und Aadil heute wieder in einer Familie leben, in einem Wohnzelt in unserem Pfauencamp, mit zwei Schwestern und neuen Eltern, die sich im Moment noch nicht wie Eltern anfühlen, aber: das Leben geht weiter. Sie wachen jeden Morgen in ihrem eigenen Zelt auf, sie essen zusammen mit ihrer neuen Familie, sie besuchen unsere Pfauenschule, ihre neue Mutter hilft bei den Hausaufgaben.
Wie die drei Brüder wurden auch über 100 weitere Kinder durch das Pfauencamp befähigt wieder optimistischer in die Zukunft schauen zu können und Grundlagen zu legen um zukünftig ihren eigenen Lebensweg zu gestalten.