Entwicklungshilfe in Gambia
Aktuell unterstützt help alliance das Projekt „Berufsperspektiven für Rückkehrer*innen“ von Edith Lanfer in Gambia / In einem Gastbeitrag für Spiegel Online spricht sie über die Lage der Entwicklungshilfe in dem westafrikanischen Land
Hinwerfen oder weitermachen?
Bewässerungsanlagen, Gemeindegärten – die Hilfsorganisation „Sabab Lou“ will Dörfern in Gambia zu neuen Einkommensquellen verhelfen, vor allem den Frauen dort. Aber bringt die Unterstützung wirklich Fortschritte?
Unsere Stiftung „Sabab Lou“ arbeitet seit neun Jahren in Gambia, einem kleinen, nach langer Diktatur verarmten Land in Westafrika. Der Name kommt aus der Sprache Wolof und bedeutet frei übersetzt: „Was man tun muss, um sein Ziel zu erreichen“. Wir unterstützen den Aufbau von Gemeindegärten, um neue Einkommensquellen zu erschließen, vor allem für die Landfrauen. Die Projekte in den Dörfern Chamen und Dutabullu liefen zunächst gut, doch Ende 2013 beschlichen mich erstmals Zweifel.
Im November dieses Jahres wollten wir den Grundstein für eine solare Bewässerungsanlage im Ort Jumansar legen, doch am Vorabend wurden die Feierlichkeiten abgesagt. Denn wir hatten erfahren, dass zwei von 45 Jugendlichen aus dem Distrikt, in dem unsere Hilfsorganisation tätig ist, in Libyen erschossen worden waren. Wir waren erschüttert, es gab keinen Grund mehr zum Feiern.
Damals erfuhren wir auch, dass einige Jugendliche das mühsam erwirtschaftete Geld aus dem Gemüsebau für die Bezahlung von Schleppern verwendet hatten. Waren wir also mitverantwortlich dafür, dass sie den „backway“, den inoffiziellen Weg nach Europa, überhaupt antreten konnten?
Es sollte noch schlimmer kommen. Die Rücklagen für den Betrieb der Anlagen – eine verpflichtende Maßnahme, die wir vor der Installation vereinbart hatten – wurden von den einheimischen Projektpartnern ausgesetzt. Sie hatten sich verschuldet. Und wir hatten das wichtigste Ziel, die finanzielle Eigenständigkeit der Dörfer, verfehlt.
Was tun, wenn es nicht glatt läuft?
Wie umgehen mit dieser Situation? Alles hinwerfen oder weitermachen? Wir machten weiter. Doch zwei Jahre später mussten wir ein Dorf von der Förderliste streichen. Der Pflanzgarten wurde mangels Arbeitskräften nicht mehr profitabel bewirtschaftet, sodass keine Rücklagen gebildet werden konnten.
Angesichts bettelarmer Zustände einfach „nein“ zu sagen, ist für uns Helfer immer eine Zerreißprobe. Bei allem Mitgefühl finden wir es nicht nur kontraproduktiv, sondern sogar schädlich, arme Menschen dauerhaft zu alimentieren. Wir ersticken dadurch deren Motivation, Kreativität, Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortlichkeit. Unsere Arbeit wird stets von diesen Zweifeln begleitet: Wir fragen nach dem Sinn und Unsinn von Hilfe.
Die Falle des paternalistischen Übergriffs
Eine Gruppe von Frauen aus dem Dorf Jumansar bat mich, ihren Männern mal eine Predigt zu halten, weil sie sich beharrlich weigern, den Zaun des Gartens zu reparieren. Spiele ich den Ball zurück und lasse die Frauen das selbst ausfechten? Greife ich ein – möglicherweise mit dem Risiko, dass die Frauen dann aggressiv belehrt werden?
Ich griff ein und versuchte, die Männer von den wirtschaftlichen Nachteilen ihres Schlendrians zu überzeugen. Sie blieben bei ihrer Haltung, sich von Frauen nicht herumkommandieren zu lassen. Schließlich wurde ich laut und sagte: „Entweder ihr seid zu reich, zu dumm oder zu faul!“ Ich war wütend über die ungerechte Verteilung der Arbeitslasten und die Weigerung der Männer, mit anzupacken.
Ich erschrak über meine Worte, aber das saß. Und die Frauen applaudierten. Ich bezweifle, dass meine Wutrede eine nachhaltige Wirkung hatte. Aber vielleicht habe ich wenigstens die Frauen darin bestärkt, künftig entschlossener aufzutreten.
Der Irrsinn: Entwicklungshilfe als Wiedergutmachung?
Selbst wenn wir glauben, bei Projekten alles bedacht zu haben, stellen sich plötzlich unvorhergesehene Hindernisse in den Weg. Wir rieten den Gärtnerinnen in Gambia, Zwiebeln anzubauen. Und dann machten sie Verluste, weil auf dem lokalen Markt die importierten Knollen aus Holland billiger waren. Wir wichen auf den Anbau Roter Bete aus – und litten unter der Konkurrenz tiefgefrorener, verzehrfertiger Bete. Aufgeben und verzweifeln?
Nein! Nischen finden, Produkte verbessern, den Markt passgenau bedienen, Kunden pflegen. Aber wie gehen wir mit dem ungeheuerlichen Vorwurf um, dass arme Staaten selbst schuld an ihrer kränkelnden Landwirtschaft seien, schließlich könnten sie doch Handelszölle auf ihre Erzeugnisse erheben?
Wie rechtfertigen wir eigentlich unsere zerstörerischen Agrarexporte aus der EU? Entbindet freie Marktwirtschaft von globaler Verantwortung? Oder ist alles nicht so schlimm, weil wir die Schäden mit unserer Entwicklungshilfe wiedergutmachen?
Es macht mich auch wütend, wenn ich sehe, wie großzügig und planlos Entwicklungshilfegelder vergeben werden und wie wir in selbstgefälligem Gutmenschentum oft nutzlose Großprojekte fördern, die sich gegenseitig übertrumpfen. Ich mache mir Sorgen, dass in Gambia der gleiche Irrweg eingeschlagen wird wie etwa in Haiti.
Der karibische Inselstaat wurde nach dem Erdbeben 2010 mit Hilfsgeldern überschüttet, dennoch hat sich die Lebenssituation vieler armer Menschen dramatisch verschlechtert. Gewinner waren das Heer der Entwicklungshelfer und die korrupte Elite, die sich hemmungslos bereichert hat.
Hoffen – aller Schwarzmalerei zum Trotz
Warum machen wir eigentlich weiter, obwohl alles so kräftezehrend, unergiebig und zweifelhaft ist? Sollten wir die Hilfe nicht einfach einstellen? Würden wir dann vielleicht sogar weniger Schaden anrichten? Kann man überhaupt gute Entwicklungsarbeit leisten?
Ja, man kann! Jeder kleine Erfolg ist den Einsatz wert, jede kleine Verbesserung motiviert die Menschen. Sie wollen ihre Lage verbessern und eine menschenwürdige Zukunft gestalten. Wir begegnen immer wieder jungen Migranten, die in ihre Heimat zurückkehren, um dort etwas zu bewirken. Ich bin davon überzeugt, dass sie ihre Gesellschaften verändern und die Macht der lähmenden Traditionen überwinden können – aus eigener Kraft, in ihrem eigenen Zeitrahmen. Wir können sie dabei nur unterstützen.
Und meine Zweifel? Ich hoffe, dass sie mir erhalten bleiben!
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Hier können Sie mehr über das Projekt in Gambia erfahren.