Ein Lehrer für Lam

11. September 2024

Als Thanh Tong dem kleinen Lam zum ersten Mal begegnete, konnte der 3-Jährige weder Geräusche von sich geben, noch verstand er, wenn man ihn ansprach. Er reagierte nicht auf den Klang seines Namens, Augenkontakt konnte er nur sehr schwer aufnehmen.
Lam ist mit seiner Behinderung in der vietnamesischen Gesellschaft ein Sonderfall. Der Umgang mit diesen Menschen, die – abhängig von Quelle und Definition der Behinderung – zwischen zehn und 20 Millionen in dem südostasiatischen Land umfasst, war lange: würdevoll betreuen und pflegen. Dass man durch gezielte aufeinander abgestimmte Maßnahmen die Lage der Kinder verbessern kann, lag für die Sozialarbeiter fast außerhalb des denkbaren Horizonts.

Nicht so für Thanh Tong. Der 26-Jährige arbeitete schon seit 2013 im „Center for Rehabilitation and Education for Disabled Children“ in Khanh Hoa, rund zehn Autostunden von Ho-Chi-Minh-Stadt entfernt. Dort traf er vor zwei Jahren auch Lam. „Am Anfang war es für uns beide hart. Trotz meines Uni-Abschlusses und drei Jahren Berufserfahrung fehlte mir die richtige Ausbildung, um ihn gut zu betreuen”, erklärt er.

2016 nahm Thanh Tong an einer Weiterbildung zur Früherkennung von Autismus bei Kindern in Khanh Hoa statt. Das Programm ist Teil der Kooperation von help alliance und Saigon Children’s Charity, und hat das Ziel, Lehrer weiterzubilden und damit die Situation von Kindern mit Behinderung in Vietnam zu verbessern. „Während der Trainingszeit habe ich viele Interventionstechniken für Kinder mit Behinderungen erlernt und gemerkt, wie wichtig es ist, eng mit den Eltern zusammenzuarbeiten“, erklärt er. Das Neuerlernte konnte der Lehrer direkt in die Praxis umsetzen und weiter mit Lam und seiner Mutter arbeiten.

„Eine intensive Fortbildung von Pädagogen im Behindertenbereich ist essenziell. Meine Erfahrungen zeigten, dass es hier einen hohen Bedarf gibt“, erklärt Dominik Kopp, Lufthansa-A340-Pilot und help alliance-Projektleiter, den Ansatz des Programms

„Zu Beginn des Projekts sprach ich mit dem Leiter einer Schule für autistische Kinder. Er erzählte mir von einem Kind, das jeden Tag vom Schultor in das Schulgebäude rollte, ohne dass ihn jemand berühren durfte; ein anderes Kind biss die Lehrer. Die verstanden nicht, warum die Kinder solche Verhaltensweisen an den Tag legten und wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten.“ Er engagiert sich schon seit vielen Jahren ehrenamtlich für help alliance in Vietnam und hat erkannt, dass besonders Kinder mit Behinderung eine starke Stimme brauchen. „Fast jedes fünfte Kind in unseren Kindergärten hatte eine Behinderung. Leider ist die Realität, dass diese Kinder gesellschaftlich und auch familiär häufig isoliert wurden und ein elendes Leben fristeten.“

Neben der Weiterbildung hat das Programm standardisierte Verfahren zu Früherkennung verbessert und Lehr- und Therapiepläne für Kinder mit Behinderungen entwickelt. „Erkennt man eine Hörbehinderung sehr früh und therapiert sie richtig, wird dieses Kind völlig normal aufwachsen – je länger man es ignoriert, desto dramatischer kann die Lebenssituation werden“, so Dominik Kopp.

Im Jahr 2016 prüften Kopp und seine lokalen Partner in Ho-Chi-Minh-Stadt in zwölf Schulen, welche Bedarfe Kinder mit besonderen Bedürfnissen haben. Die Ergebnisse zeigten, dass Lehrer bei der Anwendung des alten Lehrplans auf viele Schwierigkeiten stießen. „Deshalb haben wir das Department of Education and Training von Ho-Chi-Minh-Stadt dabei unterstützt, unseren Lehrplan voranzutreiben. Vor 2016 nutzten nur 4,2 Prozent der Sonderschulen diesen neuen Lehrplan, bis 2018 waren es 91,2 Prozent.“ Seitdem sich Thanh Tong und Lam zum ersten Mal in die Augen gesehen haben, sind zwei Jahre vergangen. Lam kann sich nun verständigen, ist ein aufgeweckter Junge. „Es macht mich so glücklich zu sehen, wie er sich entwickelt hat. Lam macht seine Mutter mit seinen vielen Fragen manchmal sogar verrückt“, erzählt er lächelnd. „Das sind genau die Erlebnisse, die mich dazu bringen, meine Arbeit und die Kinder zu lieben. Ich hoffe, mein Wissen noch zu erweitern, damit ich noch vielen Kindern mit Behinderungen helfen kann.“

Die Geschichte von Lam wurde erstmals im Jahresbericht 2018 veröffentlicht.

Die Förderung des Projektes ist mittlerweile abgeschlossen.